Interview mit den “Ruhrnachrichten” vom 26.07.2014
Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann ist neue Mittelstandsbeauftragte der SPD-Fraktion.
Gerade erstmals in den Bundestag gewählt, wurde Sabine Poschmann direkt von der SPD-Fraktion zur neuen Beauftragten für den Mittelstand und für das Handwerk ernannt. Bettina Kiwitt sprach mit der 45-Jährigen über ihre Aufgabe in der Großen Koalition.
RN: Wie sind Sie als Bundestags-Neuling gleich an den nicht ganz unwichtigen Posten der Mittelstandsbeauftragten gekommen?
Mein Wunsch war es, mich im Wirtschaftsausschuss zu engagieren, da ich das Thema auch in Dortmund kommunalpolitisch bearbeitet habe. Dann wurde ich von der Fraktionsspitze angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, die Mittelstandsbeauftragte zu werden. Damit hatte ich als Neue nicht gerechnet und habe mich natürlich sehr über das Angebot gefreut. Der Mittelstand wird neben der Energiewende das Thema der nächsten Zeit sein.
RN: Hätte sich vor Ihrem beruflichen Hintergrund bei DEW nicht eher der Energiebereich angeboten?
Vordergründig schon. Doch ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, Lobbyismus im Bundestag zu betreiben.
RN: Der Mittelstand fühlt sich von der Politik immer ein wenig stiefmütterlich behandelt, sieht die großen Konzerne in vielerlei Hinsicht bevorzugt. Können Sie das nachvollziehen?
Vielleicht rührt dieser Eindruck daher, dass Großkonzerne stärker in den Medien wahrgenommen werden und der Mittelstand eben sehr vielschichtig ist und durch viele verschiedene Verbände vertreten wird. Dennoch wollen wir das Thema Mittelstand wieder mehr in den Fokus nehmen auch weil wir dank des starken Mittelstandes in Deutschland so gut durch die Krise gekommen sind. Aus diesem Grund gibt es drei neue Arbeitsgruppen im Wirtschaftsministerium, die sich mit Mittelstandsfragen beschäftigen.
RN: Internationalen Konzernen gelingt es durch das geschickte Ausnutzen des unterschiedlichen Steuerrechts in verschiedenen Ländern und interne Verrechnungen, ihre Steuerlast erheblich zu senken. Kleine und mittlere Unternehmen, die sich weder einen teuren Steueranwalt noch exotische Tochterfirmen leisten können, geraten ins Hintertreffen. Müssten die Konzerne nicht endlich genauso ihren Beitrag leisten wie der deutsche Mittelständler? Was tut die Politik dafür?
Die EU ist hier am 20. Juni 2014 tätig geworden und hat eine Richtlinie verabschiedet. Firmen sollen rechtliche Unterschiede in den EU-Staaten künftig nicht mehr zur Steuervermeidung nutzen können. Die Praxis, in Ländern mit niedrigen Steuern Holdings zu gründen, deren einziger Zweck es ist, Steuern zu sparen, soll massiv erschwert werden. Die gegründeten Holdings müssen künftig eine eigene Geschäftstätigkeit nachweisen.
RN: Da könnte es aber Interpretationsspielraum geben, was Geschäftstätigkeit ist.
Das ist sicherlich ein Problem. Hier muss gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof die notwendigen rechtlichen Grenzen ziehen.
RN: Wie konkret sind die Bemühungen?
Die EU-Mitgliedsstaaten haben bis zum 31. Dezember 2015 Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die SPD fordert zur Bekämpfung des Problems auch eine Harmonisierung der Steuerpolitik in Europa. Es sollen Mindestsätze für die Besteuerung von Unternehmen festgelegt werden, und zumindest die Euro-Staaten sollen nicht länger versuchen, sich über Lockangebote für Konzerne gegenseitig um Milliardeneinnahmen zu prellen.
RN: Das wäre aber eine Einschränkung des Steuerwettbewerbs.
Wir wollen ja auch keine Einheitssätze, aber die derzeitige Situation ist unfair.
RN: Wir hatten unsere Leser gebeten, Fragen an Sie zu formulieren. Von Stefan Windgätter, Vorsitzender der heimischen Familienunternehmen, kamen mehrere. Hier die Erste: Die Deutschen werden immer älter und immer mehr Unternehmen sind auf ihre älteren Mitarbeiter angewiesen. Familienunternehmer bieten bereits flexible Arbeitszeitmodelle und investieren in Gesundheitsmanagement. Warum legt die SPD durch die Rente mit 63 Menschen, die länger arbeiten wollen, Steine in den Weg?
Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die im Alter von 63 Jahren weiterarbeiten wollen, können das nach wie vor. Sie können auch über das 67. Jahr hinaus arbeiten. Mit dem neuen Gesetz haben wir den flexibleren Renteneintritt zusätzlich gestärkt. Dennoch wollen wir den Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, die Möglichkeit einräumen, in den verdienten Ruhestand zu gehen.
RN: Aber die finanziellen Mehrbelastungen sind doch eine Bürde für kommende Generationen. Wie erklären Sie das Ihrem Kind?
Ich erkläre das meinem Sohn mit dem Beispiel seiner Oma. Die hat lange gearbeitet, zuletzt eine Diakonie-Station geleitet. Sie hat irgendwann gesagt, es fällt mir schwer, das noch zu meistern. Auch als Krankenschwester hat sie hart gearbeitet. Ich finde, das sind wir den Menschen mit dieser Lebensleistung schuldig. Sie haben viel für uns alle getan.
RN: Das ist aber keine Antwort darauf, dass künftige Generationen für die heutigen Rentenentscheidungen bezahlen müssen.
Wir müssen die Renten auch mehr durch Steuern finanzieren. Aber unser Koalitionspartner sieht das anders noch.
RN: Die zweite Frage von Stefan Windgätter: Im Herbst wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer erwartet. Werden Sie sich dafür starkmachen, dass Familienunternehmen, die über Jahre Arbeitsplätze garantieren, von einer höheren Belastung verschont bleiben?
Wir müssen das Urteil abwarten und dann sehen, wie die Urteilsbegründung genau aussieht. Das Gericht hat das Thema aufgenommen, wir von politischer Seite hätten es gar nicht aufs Tableau gebracht.
RN: Aber wie ist die Position der SPD zur Besteuerung, wenn Unternehmen vererbt werden?
Wir werden versuchen das Gesetz mittelstandsfreundlich auszugestalten, also so, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen belohnt wird. Es darf auch nicht so besteuert werden, dass der Erhalt des Betriebes auf der Kippe steht. Trotzdem muss man sehen, dass eine Balance zwischen Privat- und Betriebsvermögen gewahrt bleibt.
RN: Die dritte Frage von Stefan Windgätter: Um zukunftsfähig zu bleiben, braucht Dortmund, wie ganz Deutschland, mutige Unternehmensgründer. Was tun Sie, um das Gründerklima in Deutschland zu verbessern.
Wir müssen hierbei zwei Phasen betrachten: die Start-und die Wachstumsphase. Da gibt es jeweils andere Voraussetzungen. Wir unterstützen vor allem in der Startphase mit dem Hightech-Gründerfonds, Stipendien und KfW-Darlehen.
RN: Die gibt es doch bereits…
Stimmt, aber die müssen noch gründerfreundlicher ausgestaltet werden. Die Beantragung ist umständlich und langwierig. Das muss schneller gehen. Mancher Gründer sagt, meine Idee ist überholt, bis die Förderung genehmigt ist. Wir probieren es mit dem Cappuccino-Ef-fekt.
RN: Der Berater trinkt einen Kaffee bei der Beratung?
Nein, wer sich um eine Förderung bei der KfW-Bank bewirbt, soll nach einer halben Stunde also nach ein, zwei Cappuccino eine Einschätzung von seiner Bank erhalten, ob eine Förderung möglich ist.
RN: Wann soll das kommen?
Die schnelle Förderzusage gibt es bereits in einer ersten Pilotphase bei der Postbank. 2015 werden weitere Banken folgen. Ähnlich verhält es sich bei den Förderungen: Im Angebot sind momentan die, die am stärksten nachgefragt werden. Wenn sich das Modell bewährt, folgen Förderungen für Gründer.
RN: Was muss noch getan werden für mehr Gründergeist?
Schon in den Schulen muss den Kindern Unternehmertum näher gebracht werden. Es gibt bereits Angebote, aber noch sehr ungesteuert. Und wir sollten von den USA lernen jedenfalls in dieser Sache. Dort ist ein Gründer nicht gleich verbrannt, wenn er mit seiner ersten Idee scheitert. Da sollten wir in Deutschland auch hinkommen. Zudem brauchen wir für Gründer, die sich in der Wachstumsphase befinden, mehr Unterstützung mit Wagniskapital.
RN: Aber davon gibt es in Deutschland auch zu wenig…
Ja, das ist richtig. Deshalb sind hier verschiedene Maßnahmen geplant.
RN: Was ist konkret geplant?
Die SPD plant ein Gesetz, das die Tätigkeit von Wagniskapitalgebern verbessert und somit Deutschland als Investitionsstandort attraktiver macht. Zudem soll der Invest-Zuschuss Wagniskapital steuerbefreit werden. Außerdem könnte man Kapital zur Wachstumsfinanzierung an der Börse generieren. Hierfür ist ein neues Börsensegment Markt 2.0 geplant. Es finden bereits Gespräche mit der Deutschen Börse, Verbänden und Unternehmen statt. Allerdings dürfen sich nicht die Fehler des Neuen Marktes zur Jahrtausendwende wiederholen.
RN: Dortmund leidet seit Jahrzehnten unter der hohen Langzeitarbeitslosigkeit, eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Mittel zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sind sogar noch drastisch vom Bund gekürzt worden. Was tut die Bundespolitik zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit?
Die Kürzungen waren noch unter der alten Regierung. Im neuen Haushalt 2014 sind 325 Millionen Euro mehr als bislang für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vorgesehen. Das heißt, das Jobcenter Dortmund hat in diesem Jahr 2,3 Millionen Euro mehr zur Verfügung.
RN: Die 2,3 Millionen Euro fangen die erfolgten Kürzungen bei Weitem nicht auf. Das Grundproblem ist doch, das Langzeitarbeitslose zu schlecht für die heutigen Anforderungen der Arbeitswelt qualifiziert sind. Man kann nicht jeden zum IT-Spezialisten qualifizieren. Wo muss man ansetzen?
Es muss vor allem darum gehen, bedarfsgerecht zu qualifizieren und die Betreuungsquote zu erhöhen. Je besser die Menschen bei ihrem Einstieg in den Arbeitsmarkt betreut werden, desto größer sind die Erfolge. Besonders wichtig ist dies bei jungen Menschen, damit sie wieder schnell in die Arbeitswelt zurückkommen und nicht schlimmstenfalls ihr Leben lang arbeitslos bleiben.
RN: Wenn ein Dortmunder Unternehmer ein Problem mit der Bundespolitik hat, kann er sich dann an Sie wenden?
Ja, natürlich. Es geht mir um einen gemeinsamen Dialog mit allen Akteuren, und ich schaue auch gern mal direkt in Betrieben vorbei.