Interview mit dem “Deutschen Handwerksblatt” vom 29.06.2014
Sabine Poschmann (MdB) will im Bundestag die begrenzten Karrierechancen von Frauen thematisieren: Die Diskriminierung auf dem Lohnzettel müsse ein Ende haben!
DHB: Frau Poschmann, wir fallen mal mit der Tür ins Haus: Was halten Sie von den Debatten um die Marktzugangsregelung, die derzeit in Brüssel geführt werden? Das hat möglicherweise ganz massive Auswirkungen auf die Anlage A der Handwerksordnung. Empfinden Sie es nicht als schizophren, dass in ganz Europa das deutsche Ausbildungssystem gelobt, die niedrige Jugendarbeitslosigkeit hierzulande herausgestellt wird, aber gleichzeitig immer wieder versucht wird, die Meisterqualifikation indirekt abzuschaffen? Anders gesprochen: die Ausbilder werden abgeschafft!
Poschmann: Die EU-Kommission hat betont, dass sie die Handwerksordnung nicht aufheben will. Gleichwohl nimmt die SPD die Sorgen des Handwerks ernst. Rund 95 Prozent der jährlich 400.000 Auszubildenden des Handwerks werden in Meisterbetrieben auf ihren Beruf vorbereitet. Deshalb haben wir den Erhalt des Meisterbriefs im Koalitionsvertrag verankert. Die duale Ausbildung sichert qualitätsvolle Dienstleistungen und sorgt für hohen Verbraucherschutz. Sie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit, trägt entscheidend zur niedrigen Jugendarbeitslosigkeit bei und kommt so dem Allgemeinwohl zugute. Das sind wichtige Argumente, die wir in den Evaluationsprozess der EU einbringen. Wir werden darauf achten, dass notwendige Harmonisierungen bei den Berufszugängen keine Abwärtsspirale bei der Qualität der Ausbildung in Gang setzen.
DHB: Sie haben sich sehr für die Entgeltgleichheit für Frauen stark gemacht. Was genau empört Sie so?
Poschmann: Frauen werden im Schnitt 22 Prozent schlechter entlohnt. Damit liegt Deutschland EU-weit im unteren Drittel. Ihre Karrierechancen sind immer noch begrenzt. Viele müssen sich mit Teilzeit- und Minijobs zufrieden geben. Zudem drohen Lohn- und Einkommenseinbußen, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes ins Berufsleben zurückkehren. Diese Diskriminierung auf dem Lohnzettel wollen wir beseitigen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen wir daher noch stärker fördern, durch den Ausbau von Kitas und Gesamtschulen sowie durch flexiblere Arbeitszeitmodelle. Junge Familien, die Teilzeit arbeiten, wollen wir mit dem Elterngeld Plus unterstützen. Dennoch sehe ich auch die Unternehmen in der Pflicht: Sie müssen ihre Entgeltpraxis überprüfen und die Entgeltgruppen transparent machen, um potenzielle Benachteiligungen aufzudecken.
DHB: Wie ernst ist der anstehende Fachkräftemangel und wie meinen Sie, soll ihm begegnet werden?
Poschmann: Schon heute gibt es Engpässe in 20 Berufen aus dem IT- und Ingenieurbereich, in der Medizin und in der Pflege. Dem müssen wir begegnen, indem wir unsere Potenziale aktivieren. Ich denke an ältere Arbeitnehmer oder an Frauen, die beim Wiedereinstieg ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit benötigen. Oder an die rund 1,4 Millionen Menschen zwischen 25 und 34 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben und unbedingt eine zweite oder auch dritte Chance brauchen. Wir müssen zudem dafür sorgen, Behinderte und zugewanderte Arbeitnehmer besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch hier sind wieder die Unternehmen mitgefordert, in dem sie z.B. aus- und weiterbilden, altersgerechte Arbeitsplätze schaffen und individuelle Arbeitszeitmodelle anbieten.
DHB: Sie sprechen auf Ihrer Website sehr abstrakt von Zugang zu Investitionsförderung vereinfachen Können Sie bitte erklären, was Sie mit dieser Aussage konkret meinen?
Poschmann: Mir geht es darum, Förderprogramme transparenter und bekannter zu machen sowie bürokratische Hemmnisse abzubauen. Oft verfügen kleine und mittelständische Unternehmen über zu wenige Informationen oder werden durch komplizierte Antragsverfahren abgeschreckt. Anstoßen möchten wir auch eine engere Kooperation mit Hochschulen und Forschungsinstituten. So erhöhen sich für kleine und mittlere Betriebe die Chancen, neue Produkte und Dienstleistungen herzustellen.
DHB: Welche weiteren Projekte wollen sie als Mittelstands- und Handwerksbeauftragte anschieben?
Poschmann: Der Mittelstand bleibt ein starker Wirtschaftsmotor in Deutschland. Wir wollen seine Leistung weiter steigern und dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Viele Punkte habe ich hier schon angesprochen. So geht es mir darum, bürokratische Belastungen abzubauen, passgenauere Finanzierungs- und Förderinstrumente für Investitionen und Gründer anzubieten, gute Bildung sowie bessere Übergänge von der Schule in die Ausbildung zu sichern und nicht zuletzt, die guten Ausbildungsstandards in Deutschland zu erhalten.
Die Fragen stellte Rüdiger Gottschalk, Foto Andreas Buck